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Theatertage Kaufbeuren 2023
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Zu behaupten, dass die Theatertage der bayerischen Gymnasien ein Feuerwerk für das Schultheater gewesen seien, ist in zweifacher Hinsicht richtig. Schließlich gab es am ersten Abend nach der lebendigen Eröffnungsveranstaltung und zwei Theaterstücken ein tatsächlich großes Feuerwerk. Ehrlicherweise lag das an der „Tänzelfestwoche“ in Kaufbeuren und war kein Beitrag des Organisationsteams vor Ort, hätte es aber sein können. Denn auch im übertragenen Sinne war die aufmerksame Gastgeberschaft und Organisation des Festivals unter dem Thema Inter-Acting eine bunte und originelle Mischung. Bernhard Fritsch, Werner Fuchs-Richter und Thomas Wilm hatten zusammen mit der Gemeinde und dem Schulleiter OStD Christoph Walter mit Herz und Begeisterung keinen Aufwand gescheut, um den Theatertagen einen perfekten Rahmen zu bieten. Ein stets offenes Café, drei professionelle Spielstätten, eine lokale und schülerbezogene Versorgung aller Teilnehmer sind nur einige Eckpunkte, die für das Gelingen des Festivals entscheidend waren. Das Ganze geht natürlich nicht ohne die notwendige ideelle und großzügige finanzielle Unterstützung von zahlreichen Sponsoren vor Ort wie der Stadt Kaufbeuren und externen Förderern, wie dem Ministerium für Unterricht und Kultus in Bayern sowie dem Bayerischen Philologen Verband (bpv), der Landeselternvereinigung (LEV) und dem Verband Theater am Gymnasium in Bayern (TAG).

Ein Feuerwerk waren aber auch die sieben Stücke, die von der Jury aus der Zahl der Bewerbungen ausgewählt werden konnten. Das bezieht sich auf ihren zündenden Erfolg beim Publikum ebenso wie auf die verschiedenen Formen, in denen sich auch hier wieder Schultheater zeigte. Eine Vielfalt, die mit Akteuren und Gästen in ausführlichen Besprechungen auf originelle Weise diskutiert wurden. Eine Vielfalt, die in der anregenden Weise, in der sie sich präsentierte, einen wesentlichen Teil der Fortbildung für die zahlreichen Kollegen und Kolleginnen, die aus ganz Bayern angereist waren, darstellte.

Die folgenden kurzen Charakterisierungen der Stücke können das nur bedingt erfassen. Deshalb gilt schon an dieser Stelle die Einladung zu den nächsten Theatertagen vom 17. - 20.Juli 2024 ans Gregor-Mendel-Gymnasium in Amberg.

 

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Fremde Heimat

Die Oberstufentheatergruppe des Gymnasiums bei St. Stefan Augsburg (Leitung: Elke Sandler) erfasste in ihrem Beitrag im Sinne des Biographischen Theaters die verschiedensten Aspekte zu dem, was für Schülerinnen und Schüler Heimat heute vertraut, aber auch fremd macht. In den Texten und Szenen, die durchweg aus Erfahrungen der Spielenden bestanden, hatten unter den gliedernden Schlagwörtern Heimat, Fremde, Zuflucht oder Ängste scheinbare Banalitäten ebenso Platz wie betroffen machende Erfahrungen. Das besonders, wenn im zweiten Teil Kriegserfahrungen von Jugendlichen aus der Ukraine zur Sprache kamen. Die durchweg Richtung Zuschauer auch in muttersprachlichen Aussagen aufgezählten, berichteten oder erzählten Erfahrungen wurden begleitet von Chören und Choreographien, die das Gesagte kommentierten oder ins Bild setzten. Fotografische oder im zweiten Teil grafische Projektionen als Hintergrund verdichteten die zunehmend ernst werdende Atmosphäre. Die überzeugende Haltung der Spielenden ließ dem Publikum keine Chance auszuweichen. Eine Ehrlichkeit, die unter den Zuschauern großen Beifall und Respekt fand.

 

Metamorphosen

Ein Stück, in dem kein einziger Satz gesprochen wird? Ist das Theater? Ein Stück, in dem vor allem die Klänge aus der Musikanlage das Geschehen steuern? Ist das noch Theater? Klar doch! Denn die damit angedeutete experimentelle Form, die die Unterstufentheatergruppe des Reuchlin-Gymnasiums Ingolstadt (Leitung: Christian Albert) ihren Zuschauern zutraute, begeisterte. Das hatte auch damit zu tun, dass die Zuschauer auf Papphockern im Raum verteilt zwischen Plastikfolien mitten im Geschehen saßen. Die jungen Spielenden, die zunächst noch als ruhende Körper an den Seitenwänden des Kellertheaters im JBG herumhingen, belebten sich erst, nachdem das Saallicht erloschen war und verteilte LED Scheinwerfer geheimnisvolles Licht in den Raum warfen. Rätselhaft geräuschhafte und sprachhaltige Sounds erfüllten den Raum und in großer Langsamkeit entwickelte sich Geschehen. Masken wurden abgelegt, Akteure krochen unter den Folien zwischen den Zuschauenden dahin, bewegten sich amöbenartig, leuchteten geheimnisvoll mit Handylampen unter der Folie, suchten mit Blicken nach Kontakt oder starrten wie Wasserleichen durch die transparente Oberfläche am Boden. Mit der Zeit erhoben sie sich aus ihr Umhüllung, bis sie aufrecht herumschritten, gewandet wie Herrschende mit der Folie als Schleppe. Das Spiel klärte sich zur Metapher vom Leben und seinen Metamorphosen. Intensität und Offenheit der einzelnen Bilder eröffneten dem Zuschauer Räume für Assoziationen. Theater wurde so zum Lieferant von Geschichten, die am Ende so unterschiedlich waren wie die Zuschauer in ihrer Individualität.

 

Der Sandmann

E.T.A. Hoffmanns Brieferzählung, die der Aufführung des Oberstufenkurses des Adam Kraft Gymnasiums Schwabach (Leitung: Johannes Möhler) zugrunde lag, wird in der Geschichte als eine der bedeutenden Schauergeschichten in der deutschen Literatur angesehen. Eine Tatsache, die bei der Lektüre im Deutschunterricht oft zu kurz kommt. Dass es den Schülerinnen und Schülern bei dieser Aufführung besonders darauf ankam, war der Inszenierung und der dabei herausragend zur Schau gestellten Emotionalität zwischen Bedrohung, Unsicherheit, Angst und Verzweiflung unschwer anzusehen. Bei alledem fehlte der entlastende Humor nicht. Schon die einleitende Szene setzte diesen Akzent. Während die Großmutter bei einem Kind mit angstmachenden Bildern Fehlverhalten anmahnt, entwickeln sich im (Schatten)spiel genau diese Drohungen: Bäume wachsen aus den Ohren, ein Sofa verschlingt einen Menschen oder Grimmassen erstarren das Gesicht. In dieser Balance gelang es besonders eindrucksvoll das Schaurige hervorzuheben. Gestiefelte Männer im Anzug mit dunkel geschminkten Augen und Zylinder stellten nicht nur die Bedrohung auf der Bühne dar, sondern erschreckten auch auf ihre Weise im Publikum. Die Angstpsychose, unter der der jungerwachsene Held auf Grund von Erlebnissen und Ermahnungen in der Kindheit leidet, wurden so auf der Bühne verbildlicht. Großformatige Augen im Bühnenbild, die sich immer wieder veränderten, und rote Beleuchtungseffekte unterstützten das schaurige Erleben des Zuschauers bis zu Nathanaels verzweifeltem Ende. Eine andere wichtige Facette, nämlich die verirrte Liebe des jungen Erwachsenen zu der mechanischen Puppe Olympia, die am Ende enttäuscht werden muss, provoziert nicht nur Eifersucht, sondern vor allem die Frage nach der Wahrheit von Wahrnehmung. Eine mitreißende Aufführung, deren Spannung sich in tosendem Applaus entlud.

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Searching Momo

Einladend eröffnet eine junge Spielerin die Aufführung und bittet Zuschauende über eine Tageslichtprojektion, mit ihr zu spielen. Alles klar, denkt der Zuschauer, das ist Momo. Dann aber wird immer deutlicher: Der Titel des Stücks ist ernst zu nehmen. Momo taucht gar nicht auf der Bühne auf. Die Frage steht im Raum: Wem wird hier eigentlich mitgespielt? Nicht nur so macht es die Mittelstufengruppe des Werdenfels-Gymnasiums Garmisch-Partenkirchen (Leitung: Heidi Fleckenstein) dem Publikum nicht leicht. Der Saal mit Bühne und Zuschauerraum ist Spielfläche und verlangt erhöhte Wachsamkeit, denn dauernd wechseln Spielorte und Spielformen. So wird das Spiel künstlerische Metapher für die Zerrissenheit der Menschen in unserer Zeit zwischen eiligem Essenfassen, Plastikverpackungen oder Geschichtenerzählern, die in werbeüberladenen Shows oder Influencerblogs im Wesentlichen untergehen. Da stört alles, was Zeit braucht, wie Muse, Genuss, Kunst oder Zauber, vertreten in den Figuren Gigi dem Geschichtenerzähler, Fusy dem Friseur oder Beppo dem Straßenkehrer. Selbst die Polizei hält die Geschichte von der vermissten Momo für eine sinnlose Einbildung, deren Urheber ins Irrenhaus gehören, weshalb sie die Anzeigenerstatter in Folie wickeln und abtransportieren. Aber Momo ist da, es ist noch nicht zu spät. Es sind die Zuschauer im Publikum, denn jeder kann auf seine Weise die Zeitbank ausschalten, wenn er nur will. Eine gelungen moralinfreie theatralische Ermahnung, die vom Publikum mit Jubel belohnt wurde.

 

Moby Dick

Möglicherweise ist es der überschaubare Plot des umfangreichen Romans von Herman Melville, der immer wieder Gruppen dazu reizt, die Geschichte auf die Bühne zu setzen. Bei der Lektüre setzte die Mittelstufentheatergruppe des Dientzenhofer-Gymnasiums Bamberg (Leitung: Dominik Stoecker) an. Barfuß beschritten die Spielenden in Jeans und Ringelshirts den Tanzboden in der Raummitte und widmeten sich in verschiedenen Positionen zunächst der Lektüre des Buches. Dann wurde das Thema Moby Dick gesetzt. In klaren Standbildern und diszipliniert fließenden Choreographien, die das Geschehen wie im Roman aus der Sicht eines vervielfachten Ismael erleben lassen, zeigen sie die Suche nach einem geeigneten Schiff, tauchen ein in die Bewegungen des Meeres, lassen einen imaginierten Kapitän Ahab passieren und sich von seinem Belohnungsversprechen begeistern. Dann wechselt die Perspektive. Mit weit ausgebreiteten Armen schwebt die Gruppe als Wal über die Spielfläche und kreuzt immer wieder den Weg einer Spielerin, die die Rolle des Schiffes beibehält. Unvermittelt wechselt die Szene zurück an Deck des Schiffes, wo sich die Mannschaft mit der Angst vor dem angeblichen Ungeheuer auseinandersetzen muss. Immer wieder wird das Geschehen auch humorvoll gebrochen. Drei von der Gruppe gesungene Shantys strukturieren den Handlungsverlauf, bei der Schiffssuche schleicht sich unvermittelt der Werbespruch von Parship in den Text und nicht zuletzt steht überraschend die Frage im Raum, wie es dem Wal wohl so geht? Und schon befindet er sich in einer psychotherapeutischen Beratung. Dann wird es ernst. In einem stilisierten Step by Step Kampf der geteilten Spielgruppe entscheidet der Wal den Kampf für sich. Nur Ismael überlebt und konnte deshalb die Geschichte erzählen. Eine Aufführung, deren Fließen und Eleganz, deren Tempo und Intensität das Publikum in seinen Bann zog.

 

Der Junge mit dem Koffer

Theater ist im Idealfall immer Auseinandersetzung mit der Zeit, in der die Spielenden leben, und ihren Fragen. Hier dürfte wohl das Motiv für die Theater-AG des Michaeli-Gymnasiums München (Leitung:  Julia Engelhart und Henrike Robald) gelegen haben, das Stück Der Junge mit dem Koffer von Mike Kenny auf die Bühne zu bringen. Es erzählt in überwiegend personalem Spiel die Geschichte des Jungen Naz, der von irgendwo aus dem sogenannten globalen Süden als unbegleiteter Jugendlicher nach London zu seinem Bruder auf die Flucht geschickt wird. Dort findet er aber nicht das vom Bruder den Eltern vorgegaukelte ideale Land. Die verschiedenen Stationen der Reise werden teils erzählt, teils in Dialogen angespielt. Atmosphärisch dichte Choreographien lassen Spannung und Angst auf dem Weg, aber auch Unterdrückung und Willkür, denen die abhängigen Flüchtenden ausgesetzt sind sowie ihren sinnlosen Widerstand dagegen deutlich werden. In die Spielszenen eingewoben sind Video- und gesprochene Statements zu Wahrnehmungen auf der Flucht oder atmosphärische Videosequenzen, etwa von Gewitter oder Kinderzeichnungen als Bühnenbild. Das literarische Märchen von Sindbad dem Seefahrer begleitet leitmotivisch die Reise. Die Akteure aus München können durch ihr konzentriertes Spiel das jugendliche Publikum betroffen machen und begeistern.

 

Eine tierische Konferenz

Kästners bekannte Parabel von der Konferenz der Tiere stand bei dieser Produktion vom Helene-Lange-Gymnasium Fürth erkennbar Pate. Die Unterstufengruppe (Leitung: Christiane Baumann) präsentierte dementsprechend eine Collage aus Szenen, in denen verschiedene Themen der Vorlage mit erkennbarem Bezug zur Gegenwart, mit viel Spaß und einem gesunden Maß an Ironie ausgespielt wurden. Das zeigte schon die Eröffnung des Stücks, bei der in einem Standbild die bekannte Karikatur der Entwicklung vom Affen zum Menschen nachgestellt wurde. Ein Paradies, so wird kurz danach festgestellt, das war einmal. Schon rennen alle Spielenden wie Erwachsene durcheinander, rollen Koffer herum, hängen an Tablets und Handys und haben nichts Wichtigeres zu tun, als auf jede erdenkliche Weise möglichst viel Geld zu verdienen. Dem setzten die Spielenden als Kinder ihre Spiellust entgegen, machen sich die Welt, wie sie ihnen gefällt, und kommen alsbald auf die Idee: Lasst uns die Konferenz der Tiere spielen. Im Handumdrehen haben alle Versatzstücke oder Vollkörperkostüme angelegt, um die Rolle eines bestimmten Tieres, seine Bewegunscharakteristika und seinen Sprechton zu übernehmen. Aber den Tieren, ob Haus- oder Wildtier geht es schlecht mit oder gerade wegen der Menschen. Dagegen hilft nur eine Demo, die unmittelbar an die Fridays-for-Future-Bewegung erinnert. Es wird immer krasser, ihr klaut unser Wasser, wird dort skandiert. Außerdem planen die Tiere Gegenmaßnahmen, denn sie wollen die Spezies (Mensch) zur Schnecke machen, die Katzen mit Liebesentzug oder die Ratten durch einen Überfall. Und als alle begeistert den Tierzirkus der Zukunft spielen, kommt die Meldung über Twitter, dass die Kinder vermisst werden. Da legen sie ihre Tierkostüme ab, nehmen aber den Protest mit, indem sie eine Verbesserung des Klimas, Gemeinschaft unter den Menschen und Gerechtigkeit einfordern.

Ein engagiertes Statement aus der Lektüre von Kästner, dem das Publikum mit seinem Applaus am Ende nur zustimmen konnte und gleichzeitig die lebendige, schnelle und witzige Spielleistung der jungen Akteure würdigte.

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